Tränen weg und weiter! Trauern Männer anders?

„Können sie mir bitte erklären, was mit mir los ist und wie ich wieder normal funktionieren kann“. So oder so ähnlich werden Männer gerne in der Beratung vorstellig, nachdem sie wertvolle Menschen durch Tod oder Trennung verloren haben.

Wenn ein Mann mit diesem Anliegen in eine Beratungsstelle geht, hat er schon einen wesentlichen, ungewöhnlichen Schritt gemacht: er hat sich Hilfe geholt. Und er hat gleichzeitig formuliert, wie er diese Situation einschätzt und wie er glaubt, sie bewältigen zu können: rational, zielgerichtet und effizient.

Wobei, wenn ich hier über „die Männer“ schreibe, skizziere ich ein sehr häufig anzutreffendes Bild von Männlichkeit. Das heißt nicht, dass jeder Mann individuell so reagiert. Aber gerade unter dem Druck von Pandemie und wirtschaftlichen Notlagen greifen viele Männer wieder auf überwunden geglaubte Problemlösestrategien zurück.

So begegnen uns folgende Verhaltensweisen bei Männern häufig:
• Eigene Befindlichkeiten und Bedürfnisse werden in den Hintergrund gedrängt
• Man gibt sich sprachlos und stumm in Bezug auf das eigene Innenleben
• Mit Schwierigkeiten trachtet man allein fertig zu werden
• Körperliche Warnsignale werden ignoriert
• Es wird versucht Kontrolle aufrecht zu halten über sich, die Situation und die eigenen Gefühle.

Aber in den abgründigen und verstörenden Grenzsituationen von Verlust und Trauer werden diese Strategien demaskiert und oft als nicht hilfreich entlarvt. Die abgründigen, niederschmetternden und erschütternden Gefühle können nicht eingeordnet werden. So eine Grenzsituation wird meist das erste Mal erlebt und Männer versuchen kognitiv zu verstehen, was da in ihnen passiert. Damit wird die Hoffnung verbunden, mental gegensteuern zu können. Dazu kommt, dass gewohnte Aktivitäten wie Sport und Hobbys das Leid nicht lindern oder dass die Energie fehlt, sich aufzuraffen

„Die Arbeit hilft mir mich abzulenken und einen halbwegs normalen Alltag leben zu können. Aber wenn ich in die leere Wohnung zurückkomme, übermannen mich die Tränen und ich werde wieder emotional. Ich trinke dann zu viel Bier, um mich zu betäuben, was die Stimmung am nächsten Tag noch tiefer in den Keller sinken lässt.“ So erzählt ein Mann, dessen Frau nach einem Krebsleiden aus dem Leben geschieden ist.

Zudem verunsichert ihn, dass seine Kinder offener ihre Trauer zeigen und mit Freunden und Verwandten darüber sprechen. Er jedoch will sie mit seinen Sorgen nicht zusätzlich belasten, hat keine Freunde und versinkt im Schweigen. Auf berufliche Belastungen reagiert er zunehmend ärgerlich. Und er fragt sich, ob das „normal“ sei.

Alfried Längle, ein Schüler von Viktor Frankl, formuliert drei Aufgaben, die Trauernde zu bewältigen haben und sie scheinen mir hilfreiche Prozessschritte speziell auch für Männer zu sein:

Zuwendung zur Trauer
Gefühle differenziert wahrzunehmen, sie zu benennen und als reale Gegebenheiten anzuerkennen ist wesentlich, um Klarheit ins Dunkel des Innenlebens zu bringen. Nicht nur „emotional“ sein, sondern sagen können, dass man ängstlich, traurig oder wütend ist. Es gilt, diese Gefühle als normale Reaktionen in einer außergewöhnlichen Situation anzunehmen. Und weil diese Zustände schmerzhaft sind, ist die Versuchung groß sich von ihnen abzuwenden, sei es durch Arbeit, Drogen oder Medikamenten.

Ich bin arm dran.
Erfolgsverwöhnte und handlungsaktive Männer halten die Hilflosigkeit einer Trauersituation schwer aus. Gerade jetzt aber darf Selbstmitleid sein und es ist genauso wichtig wie Selbstlob in anderen Situationen. Unterstützung von anderen annehmen und „Beileidsbekundungen“ nicht zu unterbinden ist ungewohnt und kränkt das Selbstbild des Mannes, der doch allemal allein für sich sorgen können sollte.

Was mache ich jetzt? Wie soll es weitergehen?
Die Bilder vom Leben kommen in die Krise und es braucht Zeit für eine Revision. Wenn Freunde einen Monat nach dem Begräbnis der eigenen Frau anklopfen und zur Party einladen, weil sie meinen, man müsse nach vorne schauen und das Leben ja weitergeht, bringt das noch mehr Verwirrung in das Chaos des Trauernden. Wichtige Fragen sind wahrscheinlich noch nicht geklärt, wie: Kann dieses Leben noch gut sein? Ist man bereit und in der Lage weiter zu leben? Wie normal und real ist das alles? Im Vordergrund steht, die Liebe zum Leben zurückzugewinnen und zu verwinden, dass der ehemalige Traum vom Leben nicht in Erfüllung geht.

Männer möchten ihre Familien und Freunde oft nicht noch zusätzlich belasten. Daher kann es entlastend sein, diesen Weg in Begleitung eines erfahrenen Mannes oder Beraters zu gehen. Beratungsstellen speziell für Männer sind dafür geeignete Oasen. So kann dieser erzwungene Weg durch das dunkle Tal dazu führen, Gesundheit und Beziehungen zu stärken und eine neue Orientierung zu finden.

Martin Auer, MA
Männerberater und Trauerbegleiter

© Bild: AdobeStock #19013600

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