Einen geliebten Menschen zu verlieren bedeutet, den größten Schmerz im Verlauf der menschlichen Existenz zu erleben. Wie lässt sich damit umgehen und wie kann es gelingen, trotz dieses Verlustes ein sinnerfülltes, ja hoffnungsvolles Leben zu führen. Der bekannte Philosoph Wilhelm Schmid hat sich nach dem Tod seiner Frau darüber Gedanken gemacht und ein wunderbares Buch geschrieben.
Über den Tod hinaus verbunden. Erst nach dem Tod seiner Frau habe er verstanden, was es bedeutet, dass die Liebe den Tod besiegt, denn der Gefährtin fühle er sich weiter aufs innigste verbunden. Von Persönlichem ausgehend, richtet der Autor den Blick auf grundsätzliche Fragen und Zusammenhänge: „Könnte es sein, dass das Leben viel umfassender ist als das Leben einer Person? Ist vielleicht doch so etwas wie ein höheres Bewusstsein möglich?“ (S. 21). Wie erleben Sterbende „das Verlassen der begrenzten Wirklichkeit, zu der dieses Leben gehörte, um in das unbegrenzte Reich der Möglichkeiten zurückzukehren?“ (S. 29).
Von Lebenskunst und der Kunst des Sterbens. Es helfe nicht, gegen das „finale Geschehen“ anzukämpfen oder wütend zu sein, meint Schmid. Vielmehr sei es angebracht, damit einverstanden zu sein und besser noch, sich hinzugeben. „Denn (…) wenn nichts mehr bleibt, wenn ‚nichts mehr zu machen ist‘, bleibt immer noch, ganz bei sich zu sein und hoffentlich umsorgt zu werden von Anderen. (…) Letzte Therapien und Eingriffe sind verzichtbar, um lieber mehr Berührung zu erfahren. Denn wenn nicht mehr viel zu sagen ist, spricht immer noch die Berührung durch eine Hand …“ (S. 41). Den Tod durchleben. Nicht nur das Leben, auch der Umgang mit dem Tod verläuft in Phasen, die sich überlagern und zum Teil wiederholen. Deren acht beschreibt Wilhelm Schmid, etwa Verzweiflung und Hadern, und er betont die Bedeutung von Gesprächen, die Rolle von Gewöhnung und Dankbarkeit bis hin zum Erstarken von Diesseitigkeit und Heiterkeit. Dies zu erfahren, sei nicht Trauerarbeit, denn es „ist keine Arbeit, traurig zu sein, es ist ein Teil des Menschseins“ (S. 58).
Immerwährende Energie. Gut begründet – so betont der Autor – ist die Seinsgewissheit, „denn tot ist der Mensch nur in Bezug auf dieses Leben, das er gelebt hat. (…) Der Mensch in dieser einmaligen Komposition löst sich auf, aber alle Teile leben in anderen Zusammenhängen weiter, körperlich, seelisch, geistig. So gesehen gibt es keinen wirklichen Tod außer dem Tod der Person“ (S. 71). Wäre demnach nicht auch von Unsterblichkeit zu sprechen, wie Wilhelm Schmid es im Folgenden tut? Sein Resümee: Wir täten gut daran, den Tod nicht zu fürchten, sondern mit ihm – wie Mozart es hielt – befreundet zu sein und vielleicht auch den Gedankenaustausch mit Verstorbenen zu pflegen. Nicht zuletzt „könnte aus menschlicher Sicht ein möglicher Sinn des Todes sein, den Wert des Lebens fühlbar zu machen“ (S. 92).
Walter Spielmann
Wilhelm Schmid: Den Tod überleben.
Vom Umgang mit dem Unfassbaren.
Berlin: Insel-Verlag, 2024
142 Seiten
ISBN 978-3-458-64423-1
12,90 Euro