„Wenn das Sterben näher kommt …“ – Gedanken und Anregungen in der „Corona-Karwoche“

Dr. Andreas Michael Weiß, Assistenzprofessor für Theologische Ethik an der Universität Salzburg und Vorstandsmitglied der Hospiz-Bewegung, hat in den Salzburger Nachrichten vom 7.4.2020 einen wertvollen Beitrag zum Thema »Sterben« publiziert. – Danke für diese aktuellen wie zeitlosen Gedanken und Anregungen in der „Corona-Karwoche“!

Zwecks besserer Lesbarkeit finden Sie nachfolgend diesen Artikel aus den Salzburger Nachrichten:

Wenn das Sterben näher kommt …

Andreas M. Weiß

Schwere Krankheiten schränken die Freiheit von Menschen ein, durchbrechen Alltagsroutinen, zwingen rücksichtslos neue Notwendigkeiten auf. In der Corona-Pandemie sind davon viele Menschen betroffen. Im Grunde ist jeder gefährdet. Präventive Schutzmaßnahmen verändern das gesellschaftliche Leben radikal. Krankheit und die ernste Gefahr, daran zu sterben, machen die Verletzlichkeit und Endlichkeit unserer Existenz bewusst. Man könnte sagen, die Sterbephase beginne im Grunde mit der Geburt. Wir wissen, dass dieses Leben tödlich endet. Von dieser Realität sind schwer kranke Menschen in einer brutalen Direktheit betroffen. Die Corona-Pandemie konfrontiert jeden von uns mit einer Gefährdung, gegen die es keine verlässliche Therapie gibt. Mehr als sonst sind Menschen vom Sterben betroffen, auch vom Sterben nahestehender Menschen oder dem eigenen.

Palliative Care, die Begleitung sterbender Menschen, sorgt sich um vier zentrale Aufgaben, die jetzt viele von uns herausfordern:

Prävention:

Angesichts der realen Bedrohung des Lebens wird bewusst, wie oft wir uns um mögliche Vorsorge drücken, Entscheidungen aufschieben, als könnten wir alles auch später tun. In der zögerlichen Reaktion auf die Warnungen von Wissenschaftlern hat sich das ebenso gezeigt wie in individueller Missachtung von Schutzmaßnahmen. Wären wir uns bewusst, wie begrenzt unser Leben ist, würden wir viel radikaler Wichtiges und Unwichtiges unterscheiden, das eine erledigen, das andere streichen. Das ist eine persönliche und eine gesellschaftliche Aufgabe. Corona zeigt auch, wie sehr wir globale Mobilität überbewertet und neben der Beschleunigung der Pandemie eine maßlose Schädigung unserer Lebensgrundlagen verursacht haben. Corona wirkt schneller als der Klimawandel, aber beide führen zu vielen Todesopfern.

Symptomkontrolle:

Kranke Menschen brauchen die bestmögliche medizinische und pflegerische Unterstützung. Die Diskussionen um die Kosten unseres Gesundheitssystems, zu viele Krankenhausbetten und Intensivplätze sind schlagartig entlarvt worden als kurzsichtige Sparsamkeit mit langfristig erhöhten Kosten. Jedes Bett wird jetzt dringend gebraucht, um nicht zwischen Beatmung und Sedierung entscheiden zu müssen.

Psychosoziale Begleitung:

Social Distancing als Maßnahme zur Verzögerung der Ausbreitung von Corona erzwingt Zurückhaltung bei dem, was für kranke und sterbende Menschen Trost spenden kann, die Nähe von mitfühlenden und wohlwollenden Menschen, die das Leid teilen, die biblisch gesprochen barmherzig sind. Soziale Medien, oft aufgrund ihrer Auswüchse verrufen, erweisen sich jetzt als Chance, emotionale Nähe zu vermitteln, wo physische Nähe Leben gefährdet.

Spirituelle Begleitung:

Es gibt im Leben jedes Menschen Fragen und Sorgen, die wir nicht verlässlich beantworten können, für die alle Wissenschaft keine evidenzbasierte Auskunft geben kann. Gibt es ein Danach? Wird alles aus sein? Hat es einen Sinn gehabt? Was wird aus Unrecht, Leid und dem, was wir anderen schuldig geblieben sind? Religionen geben Antworten, sie geben Hoffnung. Diese beruht auf Glauben, nicht auf Sonderwissen. Glauben ist eine existentielle Grundhaltung des Vertrauens auch gegen alle realen Erfahrungen. Das Problem ist, dass man dieses Vertrauen nicht auf Knopfdruck abrufen oder als Rezept weitergeben kann. Halt gibt letztlich, was im Lauf des Lebens zur persönlichen Haltung geworden ist.

Auch nach Corona wird sich jedes Leben auf das Sterben zubewegen. Werden wir unsere Lebensweise ändern?

Dr. Andreas Michael Weiß

Assistenzprofessor für Theologische Ethik, Zentrum für Ethik und Armutsforschung und Fachbereich Praktische Theologie der Universität Salzburg

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