Auf den ersten Blick scheint Rutger Bregman, Historiker und Vordenker eines radikalen gesellschaftlichen Wandels, ein beredter Träumer zu sein. Allen Krisen, unserer Zeit zum Trotz – oder doch gerade ihretwegen – ruft er nicht nur junge Menschen dazu auf, sich ihrer Talente zu besinnen. Denn wir alle, so sein Credo, sind befähigt, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, indem wir unsere Fähigkeiten und einen angemessenen Teil unseres materiellen Wohlstands zum Wohle der Gesellschaft einsetzen.
Moralische Ambition gefragt. Anstelle in einem „Bullshit-Job“ Karriere zu machen und Millionen zu scheffeln, wäre es doch besser, die Lebensbedingungen von Millionen zu verbessern, argumentiert Bregman, und zeigt mit Blick auf die Geschichte, wie Pioniere des Wandels, Männer wie Frauen, diesen Weg erfolgreich gegangen sind und auch gegenwärtig mit Leidenschaft und kühlem Kopf gehen. Die Überwindung von Sklaverei und Rassentrennung, der Kampf um Frauenrechte oder artgerechte Tierhaltung, das Recht auf Bildung, medizinische Betreuung oder Fürsorge – dies alles ist zuallerserst dem Engagement Entschlossener zu danken. Dabei, das zeigt Bregman mehrfach, handelt es sich keineswegs um heroische Einzelkämpfer. Durchschlagende Erfolge werden durchwegs im Team erzielt, und vielfach kommt es darauf an, auf ausgemachte Gegner zuzugehen, sie zu überzeugen und gemeinsam neue Wege zu erkunden.
Ambition oder Idealismus für sich genommen reichen freilich nicht aus, um einer neuen Idee zum Durchbruch zu verhelfen. Vonnöten, so Bregman, sei vielmehr „moralische Ambition“, eine Haltung die nicht darauf abzielt, sich anderen gegenüber als überlegen zu fühlen, sondern durch pragmatisches Handeln Gutes im Sinne der Allgemeinheit zu leisten.
Wir alle können einen Beitrag leisten. Nun ist freilich nicht jede:r berufen, zu einem Vorreiter des Wandels zu werden. Als durch Geburt und Lebensumstände vielfach Privilegierte können (und sollten) wir aber einen entscheidenden Beitrag leisten, nicht zuletzt durch angemessenes finanzielles Engagement. Eine Person mit durchschnittlichem Einkommen gehört zu den reichsten drei Prozent der Weltbevölkerung, spendet aber weniger als ein Prozent für Zwecke (vgl. S. 183ff.) . Im „Zeitalter der großen Beschleunigung“ stehen wir heute an einem Wendepunkt der Geschichte, in der unser aller Einsatz gefordert ist. Wer immer sich angesprochen fühlt und zu einem Pionier des Wandels werden möchte, ist eingeladen, die „Schule der moralischen Ambition“ zu besuchen (www.moralischeambition.de).
Auch wenn Bregman systemische Zusammenhänge wie die Bedingungen von Macht und Herrschaft nur am Rande thematisiert, so ist sein Buch doch eine gelungene Verbindung von Analyse, Appell und Handlungsanleitung, eine Einladung, einen Beitrag zu einem guten Leben zu leisten.
Vermutlich wird man dem Autor nicht in allem zustimmen wollen. Die Vielzahl von Zitaten vermittelt Belesenheit im Höchstmaß, lenkt aber auch den Blick darauf, dass hier eine vom Leben privilegierte Persönlichkeit über das Alter(n) philosophiert, die Entbehrungen und Trauer aber nur beiläufig thematisiert. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, eine vergnügliche Lektüre.
Walter Spielmann
Rutger Bregman: Moralische Ambition.
Wie man aufhört, sein Talent zu vergeuden und etwas schafft, das wirklich zählt.
Hamburg: Rowohlt, 2024 | 332 Seiten | ISBN 978-3498007188 | 27,90 Euro