Assistierter Suizid: gemeinsame Stellungnahme des Dachverbandes Hospiz Österreich und der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG)

Gemeinsame Stellungnahme von Dachverband Hospiz Österreich und Österreichischer Palliativgesellschaft zum aktuellen Diskussionsprozess über eine gesetzliche Regulierung des assistierten Suizids[1]

Präambel
Hospiz und Palliative Care stehen für das Prinzip eines würdevollen und lebenswerten Lebens bis zum Lebensende durch aktive und umfassende Betreuung und Begleitung. Hoher Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht jedes Menschen leitet uns bei den nachfolgend ausgeführten Positionen, mit denen wir unsere Haltung konkretisieren.

Im Zusammenhang mit der Neugestaltung des §78 StGB bzw. einer künftigen Regelung zum Thema assistierter Suizid ist es aus unserer Sicht unverzichtbar, dass einige grundlegende Prinzipien sichergestellt werden:

  • Rahmenbedingungen für einen Tod in Würde und Sicherheit
  • Schutz vulnerabler Gruppen
  • Verhinderung von Missbrauch
  • Freiheit von Zwang bei der Entscheidung über das eigene Lebensende
  • Freiheit von Zwang und Sicherheit für das Gesundheitspersonal

Allgemeine Anmerkungen
Von Respekt und Wertschätzung getragen, ist es das Ziel der Hospiz- und Palliativversorgung, die Lebensqualität von Patientinnen und Patienten mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung und ihrer Zu- und Angehörigen zu verbessern und sie bei den vielfältigen Problemen, die damit einhergehen, zu unterstützen. Leiden soll vorgebeugt und gelindert werden, insbesondere durch frühzeitige Erkennung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Belastungen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Natur.

Was die Hospiz- und Palliativversorgung kann
Eine adäquate Betreuung, Behandlung und Begleitung erfordern ein vielfältiges Angebot in einem System abgestufter Versorgung, um die richtigen Patienten zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu versorgen. Palliative Grundversorgung soll in allen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens geleistet werden. Spezialisierte Hospiz- und Palliativversorgung stellt darüber hinaus in komplexen Situationen und bei schwierigen Fragestellungen zusätzliche interprofessionelle Angebote zur Verfügung, die auf individuelle und unterschiedliche Bedarfs- und Bedürfnislagen abgestimmt sind. Die Grundhaltung der Hospiz- und Palliative Care auf allen Ebenen der Gesundheitsversorgung und der Gesellschaft zu integrieren ist ein zentrales Anliegen.

Was wir in der Versorgung von Menschen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen brauchen
Die langjährige Forderung, die Hospiz- und Palliativversorgung mit adäquaten Ressourcen auszustatten, gewinnt mit Blick auf die künftige Möglichkeit des assistierten Suizids zusätzlich an Dringlichkeit und Brisanz. Die aktuell zu konstatierende Mangelversorgung auf diesem Gebiet kann das Risiko bergen, dass Menschen sich der Option des assistierten Suizids zuwenden, weil keine angemessene Hospiz- und Palliativversorgung zur Verfügung steht.

Daher muss aus unserer Sicht jetzt mehr denn je sichergestellt werden, dass Jede und Jeder, die oder der dies benötigt, Zugang zu Hospiz- und Palliativversorgung hat – leistbar, flächendeckend, unabhängig vom Wohnsitz, rund um die Uhr.

Alle Einrichtungen der abgestuften spezialisierten Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich müssen durch die öffentliche Hand voll finanziert werden. Zugleich müssen Maßnahmen der Suizidprävention ausgebaut und mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden. Mit Blick auf das genannte Risiko durch Mangelversorgung müssen auch Angebote und Einrichtungen zur Betreuung und Versorgung alter Menschen, von Menschen mit Behinderung und der Unterstützung für pflegende Angehörige ausgebaut und mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet werden.

Bereits bestehende Möglichkeiten zur Wahrung der Autonomie am Lebensende wie die Errichtung einer Patientinnen- und Patientenverfügung, einer Vorsorgevollmacht oder die Möglichkeit einer Erwachsenenvertretung müssen verstärkt im Bewusstsein der Bevölkerung verankert und einfach zugängig gemacht werden. Die Umsetzung des Vorsorgedialogs (im Sinne des Advance Care Planning) muss im mobilen Bereich und in Einrichtungen stationärer Betreuung finanziert werden.

Ein Basiswissen zu Hospiz und Palliative Care muss in den Grundausbildungen aller Gesundheits- und Betreuungsberufe und sozial-spirituellen Berufe integriert sein, dazu sollen spezialisierte Ausbildungsprogramme verstärkt von der öffentlichen Hand gefördert werden. Die umfassende Integration von Hospizkultur und Palliative Care in Einrichtungen der Seniorenbetreuung, Pflege und Geriatrie und Versorgungseinrichtungen für Menschen mit Behinderung muss gestärkt werden.

Darüber hinaus sollte Wissen über Hospiz und Palliative Care schon in der schulischen Ausbildung Platz finden, zum Beispiel im Rahmen eines Ethik- oder Religionsunterrichtes oder durch das Projekt „Hospiz macht Schule“.

Verstärkte Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit sollen dabei unterstützen, Menschen über Betreuung am Lebensende zu informieren und ihnen die Angst vor Abhängigkeit, Autonomieverlust und Leid zu nehmen.


Wichtige Überlegungen zu einer Regulierung des assistierten Suizids aus Sicht von Hospiz und Palliative Care
Bei der rechtlichen Ausgestaltung einer Option zum assistierten Suizid, wie sie Regierung und Gesetzgeber planen, sind aus der Sicht von Hospiz und Palliative Care einige Eckpunkte zentral:

  • Ziel einer Regulierung ist es, assistierten Suizid für bestimmte Personen und unter bestimmten Bedingungen straffrei zu stellen. Es soll keinen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf assistierten Suizid geben.
  • Der Gesetzgeber muss sicherstellen, dass eine Bereicherung durch die Assistenz zum Suizid ausgeschlossen wird.
  • Um die Möglichkeit des assistierten Suizids in Anspruch nehmen zu können, muss die betroffene Person zum Zeitpunkt der Willensäußerung ebenso wie zum Zeitpunkt der Durchführung:
    • volljährig sein und
    • entscheidungs- und urteilsfähig sein und
    • einen Hauptwohnsitz in Österreich haben und
    • an einer diagnostizierten, chronisch fortschreitenden oder weit fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebensdauer leiden und
    • die Entscheidung unbeeinflusst von Dritten und sozialem Druck treffen und
    • nicht an einer die Autonomie beschränkenden psychischen Erkrankung leiden, wie zum Beispiel einer behandelbaren Depression oder einer akuten Suizidalität.

  • Eine Sterbeverfügung im Sinne einer Festlegung auf einen assistierten Suizid zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft muss ausgeschlossen werden, da es zum späteren Zeitpunkt zu einer Kollision des natürlichen Willens mit dem vorausverfügten Willen kommen kann.
  • Eine assistierende Person (also eine Person, die Handreichungen bei der Verabreichung des Medikamentes leistet) muss folgende Voraussetzungen erfüllen, damit der assistierte Suizid straffrei ist:
    • Volljährigkeit
    • Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit
    • Bereitschaft zur Hilfeleistung aus eigenem, schriftlich festgelegten Willen
    • Anwesenheit während des gesamten Prozesses bis zum Eintritt des Todes
    • Veranlassung medizinischer Maßnahmen bzw. Beiziehung medizinischer Unterstützung im Fall von Komplikationen
    • Erledigung der Dokumentations- und Meldepflichten
    • Suizidassistenz soll nicht auf Wiederholung ausgelegt sein.

Begleitende Personen, die nicht bei der Verabreichung des Medikaments assistieren, bleiben immer straffrei, auch wenn die assistierende Person nicht die Kriterien der Straffreiheit erfüllen sollte.

  • Assistierter Suizid ist keine Aufgabe des öffentlichen Gesundheits-, Sozial- und Pflegewesens und keine Aufgabe der Hospiz- und Palliativversorgung. Vielmehr sind in allen Bundesländern – auf bundesweit einheitlicher Basis – Koordinationsstellen einzurichten, die dafür Sorge zu tragen haben,
    • dass unabdingbare Voraussetzungen für den assistierten Suizid, wie die Feststellung der Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit der suizidwilligen Person oder das Fehlen von Beeinflussung und Druck durch Dritte durch entsprechende Mechanismen überprüft werden,
    • dass von suizidwilligen Personen Beratungsangebote im Bereich Palliative Care, Psychiatrie sowie Sozialarbeit in Anspruch genommen werden können,
    • dass alle Verfahrensschritte rund um einen assistierten Suizid im Detail dokumentiert werden,
    • dass die Voraussetzungen für Begleitforschung geschaffen werden.

  • Keine Einrichtung im Gesundheits-, Sozial- und Pflegewesen soll zu Aktivitäten im Zusammenhang mit assistiertem Suizid verpflichtet werden, ebenso wenig individuelle Angehörige von Gesundheits- und Sozialberufen.
  • Die künftige Regelung muss, wie dies auch der Verfassungsgerichtshof angesprochen hat, berücksichtigen, dass Entscheidungen zum Lebensende auch durch soziale und ökonomische Umstände beeinflusst werden. Daher müssen Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch vorgesehen werden, insbesondere im Hinblick auf das Risiko möglicher Entscheidungen zum Suizid unter dem Einfluss Dritter. Zum Zweck der Missbrauchsvorbeugung sind daher sowohl Mechanismen der prospektiven als auch der retrospektiven Kontrolle (auf der Basis einer detaillierten Dokumentation) vorzusehen.

Diese Eckpunkte sind aus der Perspektive von Hospiz und Palliative Care zentrale Elemente einer künftigen Regulierung des assistierten Suizids. Die Einführung einer Möglichkeit des assistierten Suizids, bevor eine Vollversorgung im Bereich Hospiz und Palliative Care sichergestellt ist, birgt aus unserer Sicht das große Risiko, dass Menschen sich nur aufgrund inadäquater Betreuungs- und Behandlungsangebote für den assistierten Suizid entscheiden, nicht aus freien Stücken. Das gilt es zu verhindern.

Hospiz- und Palliativversorgung bleiben im Interesse eines menschenwürdigen Lebensendes unverzichtbar.

Waltraud Klasnic, Präsidentin Dachverband Hospiz Österreich, 1030 Wien

Dr. Dietmar Weixler MSc (palliative care),  Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft, 1090 Wien

Stellungnahme PDF


[1] Erarbeitet von der Arbeitsgruppe aus dem Dachverband Hospiz Österreich und der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG) am 13.4.2021 (MMag. Christof Eisl, Dr. Christina Grebe MSc, Waltraud Klasnic, Priv. Doz. Dr. Gudrun Kreye, Univ. Prof. Dr. Rudolf Likar MSc, Dr. Veronika Mosich MSc, Mag. Werner Mühlböck MBA, Mag. Leena Pelttari MSc, DSA Bettina Pußwald, MSM, Sonja Thalinger MSc, Manuela Wasl MSc, Univ. Prof. Dr. Herbert Watzke, Dr. Dietmar Weixler MSc, Dr. Karin Zoufal)

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